Donnerstag, 30. April 2020

So. 

Und jetzt mache ich das Ganze auf einer eigens dafür geschaffenen Website weiter. Mein Dank an meine Tochter Paula Radon-Krauß für das Web-Design und an Dennis Fink für die Programmier-Arbeit. Die alten Artikel werde übertragen ergänzt und sind dank der besseren Organisation leichter zu finden. Das Prinzip bleibt das Gleiche und wird bis in die Unendlichkeit weitergeführt...

Der Link:  http://dergrosserockhaus.de

Donnerstag, 20. Februar 2020

1966 – Tim Hardin bis Tim Buckley – Free Folk!

 Nun kann man den apellativen Titel von Ornette Coleman's epochalem Album Free Jazz! auch für Folk verwenden: 1966 wird (auch...) wegen der Befreiung des Folk aus seinen traditionellem Grenzen und Regeln durch Gottvater Bob Dylan in Erinnerung bleiben. Wie im Hauptartikel '66 gesagt – „his Bobness“ hatte Folk nicht nur mit E-Gitarre gespielt – er hatte dazu eine Sprache gefunden, die nicht mehr nur alte Traditionen zitierte, die Folk ins „Heute“ zerrte. Dabei verkennt man im Rückblick gerne die Tatsache, dass er mit seinen neuen Ideen nicht allein stand – und dass – nebenbei - die „traditionelle“ Herangehensweise auch durchaus zu hörenswerten Ergebnissen führte. Da waren an der Westcoast einerseits die Byrds mit noch weit elektrischeren Versionen von Dylan's Songs, die Folk bald in das neu zu erforschende Gebiet der Psychedelik führen würden. Aber da gab es auch einen ganzen Haufen talentierter und inzwischen etablierter Musiker in den Folk-Zirkeln des New Yorker Greenwich Village oder der Bay Area, die Folk durchaus als ihr eigenes, modern interpretiertes Betätigungsfeld sahen. Tim Hardin vermischte Folk, Jazz und Blues – und hatte Drogenprobleme, Fred Neil nutzte Folk als Start-Rampe für Exkursionen in öko-freundlichen Acid Folk, Pat Kilroy war in Marokko gewesen, Judy Collins baute Baroque-Folk und machte Leonard Cohen's Songs bekannt, Buffy Sainte-Marie, David Blue, Eric Andersen – sie alle waren seinerzeit durchaus erfolgreich und hatten den Folk ihrer formativen Jahre in den Clubs in Greenwich Village, aber auch auf Reisen zu den Kollegen nach „good old England“ – neu variiert, elektrifiziert, modernisiert, thematisch entstaubt. Und insbesondere Plattenfirmen wie Elektra und Vanguard machten nun mit. Sie hatten gesehen, dass Dylan mit seiner Blasphemie Erfolg hatte und suchten nun jemanden, der mit dem neuen Rezept den gleichen Erfolg haben könnte. Hat nicht immer geklappt...

Bob Dylan - Blonde On Blonde

(Columbia, 1966)

Dieses Album - und seine beiden Vorgänger - definieren Folk - und vor Allem das, was daraus folgt (das musste ich so formulieren... und die komplette Beschreibung hierzu im Hauptartikel '66). Spätestens ab hier wird nach dem „next Dylan“ gesucht, nach dem nächsten jungen Mann, der Folk in die politisch und gesellschaflich so bewegte Zeit holt. Spätestens ab hier erkennen die Folkies in Greenwich Village oder LA, dass sie IHRE Lebenswirklichkeit verhandeln müssen – und Plattenfirmen wie Elektra und Vanguard erkennen auch, dass sich Künstler mit innovativen Ideen verkaufen. Auch Leute wie...


Simon & Garfunkel - Sounds Of Silence

(Columbia, 1966)

Das zweite Album der ebenfalls in New York beheimateten – aber '65 schon getrennten - Folkies Paul Simon & Art Garfunkel. Die wurden durch das Produzenten-Genie Tom Wilson (Velvet Underground, Zappa...) davon überzeugt, doch weiter zu machen nachdem der den Song „Sounds of Silence“ ohne ihr wissen elektrifizierte und damit einen Hit landete. Aber genaueres darüber lies im Artikel über Tom Wilson...



Simon & Garfunkle - Parsley, Sage, Rosemary and Thyme

(Columbia, 1966)
,

...und nach dem ersten Hit nahmen die beiden dann ihr erstes Meisterwerk auf. Simon hatte in den Folk-Zirkeln England's ein paar Songs gelernt – u.a. den Titel-Track dieses Albums – und lieferte mit Parsley, Sage, Rosemary and Thyme ein weiteres Beispiel für die neue Art von Folk ab. Folk? Singer/Songwriter? Die Grenzen sind ja sowieso nur gedacht. Auch dieses Album beschreibe ich genauer im Artikel überTom Wilson – obwohl der es garnicht prodziert hat.



Tim Hardin


Tim Hardin 1

(Verve, 1966)

Tim Hardin ist eine der tragischen Figuren, deren Talent in den Sechzigern durch die allseits verfügbaren und damals unkritisch angesehenen Drogen wie eine Kerze ausgeblasen wurde. Seine beiden ersten Alben – aufgenommen im Zeitraum zwischen Ende 65 und Anfang 67 - sind ein Versprechen, das er bis zu seinem Tod 1980 nicht mehr einlösen konnte. Hardin hatte schon als Kind nach einer Verletzung ein massives, medizinisch herbeigeführtes Suchtproblem, das sich Ende der 50er, als er bei der Army in Vietnam Heroin entdeckte, noch verschlimmerte. Zu Beginn der Sechziger war er zunächst in Boston, dann in der New Yorker Greenwich Village Folk Szene unterwegs, wo er sich schnell einen Namen machte und mit seinen eigenen Songs und seiner hervorragenden Stimme Aufsehen erregte. Er bewegte sich mit Songs, die die Grenzen des Folk weit überschritten zwischen Folk, Blues und Jazz – was nun angesagt war. Allerdings war er schon zu dieser Zeit wegen seiner Suchtprobleme äußerst schwer zu vermitteln. Obwohl der Mann nur Ärger versprach, war sein Talent so unleugbar, dass er Studiozeit und mit Erik Jacobsen einen duldsamen und fähigen Produzenten bekam, für den er die Tracks solo mit Gitarre und Gesang aufnahm, um dann zu verschwinden und es Jacobsen zu überlassen, die Musik mit den feinen String Arrangements von Artie Butler auszugestalten. Einige der Tracks auf Tim Hardin 1 waren nur als Demo's gedacht, den Unterschied zu den geplanteren Tracks hört man auf dem Album kaum. Hardins Songs sind wundervolle Miniaturen, selten über drei Minuten lang, mit durchdachten Texten und einem Gesang, der sich mit dem eines Van Morrison messen kann. Freund und Bewunderer John Sebastian von den damals enorm angesagten Lovin' Spoonful steuert Mundharmonika bei, der Jazzer Gary Burton spielt Vibraphon – was den Jazz-Charakter von Hardins' Musik betont - und Songs wie „Reason to Believe“ oder „How Can We Hang on to a Dream“ wurden – bald von etlichen anderen gecover – zu Klassikern jenseits aller Genregrenzen. Hardin allerdings vertrug weder den Ruhm noch die wachsenden finanziellen Vorteile und versumpfte zusehends – Und dennoch wurde Tim Hardin 2 noch besser....


Fred Neil


s/t

(Elektra, 1966)

Der Songwriter Fred Neil und Tim Hardin kannten sich, sie waren im Greenwich Village gemeinsam aufgetreten und Neil mag Hardin auch bewundert haben – aber erhatte selber genug zu bieten. Sein zweites Album für Elektra wurde zwar kein Hit, ist aber ein inzwischen nicht mehr ganz so heimlicher Klassiker des Folk – oder besser, des Singer/Songwriter Genres? Neil hatte den jungen Dylan protegiert, wurde selber - von Tim Buckley etwa - nachgeahmt, aber sein tiefer Bariton blieb letztlich einzigartig. Seine Songs allerdings wurden von etlichen Musikern erfolgreich gecovert – als bekanntestes Beispiel mag man das hier vertretene „Everybody's Talkin'“ nennen, das für den Film Easy Rider von Harry Nilsson gecovert zum Evergreen werden sollte. Fred Neil ist ein Album, das jeder, der etwa Tim Buckley zu schätzen weiss, hören sollte. Diese Musik ist definitiv kein puristischer Folk mehr, John Forsha und Peter Childs steuern fließende elektrische Gitarrenchords bei, Al Wilson von den Canned Heat spielt Harp und die Rhythmen erinnern an die Acid-Rock Bands dieser Zeit. Zu den Aufnahmen setzten die Musiker sich im Kreis zusammen, ließen die Musik fliessen und es entstand eine Atmosphäre, die anmutet wie eine kühle Brise an einem heißen Sommertag. Der Song, der Fred Neil am wichtigsten war (und der ebenfalls etliche Male gecovert wurde) ist die Öko Hymne „The Dolphins“. Neil litt unter massivem Lampenfieber, war heroinabhängig und verabscheute dazu noch das Musik Business. Das bewog ihn wohl bald dazu, sich in den kommenden Jahren dem Schutz der besungenen Meeressäuger zu widmen und nur noch sehr sporadisch ein Studio zu besuchen. Es gibt ein nachfolgendes Album mit dem Titel Sessions, das passend unkonzentriert klingt, Neil jammte in den folgenden Jahren mit unterschiedlichsten Musikern, aber Fred Neil sollte sein letztes richtiges Album bleiben. 2001 starb er dann „eines natürlichen Todes“ - nicht selbstverständlich in diesen Kreisen


Judy Collins


In My Life

(Elektra, 1966)

Nach ihrem schlicht Fifth' benannten Album vom Vorjahr beschloss auch Judy Collins, die stilistischen Grenzen der traditionellen Folk-Musik auf ihre Weise zu überschreiten - was nicht nur ihrem innovativen Geist geschuldet gewesen sein mag. Immerhin stand sie in der Anerkennung der Folk-Gemeinde irgendwo hinter Musikern wie Dylan, Baez oder sogar Peter, Paul & Mary, und es muss sie ziemlich gewurmt haben, dass Letztere ihr mit der ein paar Wochen früher veröffentlichten Version des Gordon Lightfood-Covers „Early Morning Rain“ zuvorgekommen waren. Dabei hatte sie schon auf ihrem '63er Album Judy Collins #3 auf die Songs junger Songwriter zurückgegriffen. Aber ihre Interpretationen hatten immer noch traditionell geklungen und so beschloss sie, weitere Quellen für ihre Songs aufzutun und vor Allem ihren Sound zu verändern - sich den Veränderungen der letzten beiden Jahre über elaboriertere Arrangements zu öffnen. Sie nahm sich des Off-Broadway Materials der Drei-Groschen Oper an und coverte „Pirate Jenny“, sah sich in Frankreich um und entdeckte einen Künstler namens Jacques Brel und dessen „La Colombe“, das sie mit ihrem glasklaren Sopran und dem Klang eines Kammerorchesters interpretierte. Und sie entdeckte den nicht mehr ganz so jungen Kanadier Leonard Cohen und coverte mit dessen „Suzanne“ und „Dress Rehearsel Rag“ gleich zwei Songs eines Dichters, der zu dieser Zeit als Musiker noch ein unbeschriebenes Blatt war. Für die Aufnahmen mit kleinem Orchester unter dem Arrangeur Joshua Rifkin ging sie nach England und verpasste ihrer Musik eine Chamber-Pop Behandlung. Das war immerhin ein mutiger Schritt, wenn man bedenkt, dass so Mancher im Folk-Zirkel der USA auch '66 nicht weniger fundamentalistisch war, als viele religiöse Fanatike. Aber es war ein gelungener Schritt mit einer gewissen Logik, weil sie zum Einen als klassisch ausgebildete Musikerin wusste, was sie tat, und weil sie mit ihrer charkteristischen Stimme und der durchdachten Songauswahl und -Interpretation den richtigen Ton traf. Das Experiment gelang, In My Life verkaufte sich gut und gilt als ihr künstlerischer Durchbruch. Ein Album, das auch heute noch mindestens charmant klingt.


Buffy Sainte-Marie


Little Wheel Spin and Spin

(Vanguard, 1966)

Buffy Sainte-Marie war in der florierenden Folk Szene der USA ein Paradiesvogel: Allein schon ihre Herkunft und ihr Aussehen – als Kind von Cree-Indianern in Kanada geboren – machte sie zu einer auffälligen Erscheinung. Dazu kam, dass sie von Beginn an ihre eigenen Songs interpretierte, mit „Universal Soldier“ einen Hit und Klassiker des modernen Folk geliefert hatte. Ihr drittes Album nun bewies ein weiteres Mal, dass sie sich auf völlig natürliche Weise immer ein bisschen ausserhalb der Regularien ihrer Zunft bewegte. Little Wheel Spin and Spin enthält mit dem ambitionierten Protest-Song „My Country 'Tis of Thy People You're Dying“ eine über 6-minütige Anklage an die Nachkommen derer, die die indigene Bevölkerung Amerika's nahezu ausgerottet hatte: „Blankets for your land, so the treaties attest / Oh well, blankets for land is a bargain indeed / And the blankets were those Uncle Sam had collected / From smallpox-diseased dying soldiers that day...“ Dass sie mit diesem Son ein weiteres Mal die konservativen Machthaber in den USA gegen sich aufbrachte, war klar. Und dieses Gegenstück zu Dylan's „With God on Our Side“ ist nicht der einzige hörenswerte Track hier. Der schottische Traditional „Waly Waly“ wird nur mit Maultrommel und exaltiertem Gesang aus dem bekannten Regelwerk geholt, der Titeltrack des Albums ist spinnenhafter Acid-Folk, auch für Sainte-Marie erstmals mit einer elektrischen Gitarre (von Bruce Langhorn). Dass „Timeless Love“ mit Orchester Arrangements von Felix Pappalardi überzuckert wird, will ich verzeihen, ein paar Ausfälle sind auf diesem Album durchaus dabei. Aber Songs wie die grausame Ballade über den auf See um's Leben gekommenen „Sir Patrick Spens“ sind wunderbar ungewöhnlich, Sainte-Marie's Stimme und ihre Art des Vortrag ist ein Genuss und ihre eigenen Songs sind mit guten Melodien, klugen Texten und klaren Aussagen sehr hörenswert. Ihre Experimentierlust würde sie zunächst in die Irre – und dann in zwei Jahren zu einem der ungewöhnlichsten Alben seiner Zeit führen. Illunminations von 1969 ist visionär – auch wenn es von den US-Behörden wegen Sainte-Marie's politischer Position mit Radio-Boykott belegt wurde und unterging. Dass Buffy Sainte-Marie später mit dem von ihr verfassten Hit „Up Where We Belong“ zu Geld kam, gönne ich ihr von Herzen.


David Blue


s/t

(Elektra, 1966)

Man kann Stuart David Cohen – aka David Blue – auf seinem Debüt-Album wohl zu Recht eine gewisse Anlehnung an den elektrifizierten Folk von Dylan attestieren. Cohen hatte in den in diesem Artikel schon so oft erwähnten New Yorker Folk-Clubs Teller gewaschen, begonnen Songs zu schreiben und zu perfomen, sich eine gewisse Reputation erarbeitet, mit Dylan und Eric Andersen (siehe unten) angefreundet und war von den beiden dazu bewegt worden, seinen Namen in David Blue zu ändern. Sein gleichnamiges erstes Solo-Album erinnert tatsächlich in vielen Faktoren an Dylan: Blue sprech-singt auf ähnliche Weise wie Dylan, Produzent Arthur Gorson hat dieses Album ähnlich „elekrtisch“ ausgelegt, Paul Harris' Electric Piano liegt unter jedem Track, die Gitarren von Monte Dunn zischen giftig, Harvey Brooks Bass pumpt – und sie alle hatten zuvor Dylan begleitet, die Atmosphäre wäre gerne Highway 61 Revisited … sogar die Frisur auf dem Cover erinnert an Dylan auf dessen einen Monat zuvor veröffentlichtem Blonde on Blonde. Aber David Blue musste sich zu seinem Unglück mit einem messen, der zu dieser Zeit in Hochform war – Ein Problem, das einige unbekanntere in den kommenden Monaten hatten. Wenn er sich ein bisschen vom Vorbild entfernt, wird er glaubwürdiger. „Midnight Through Morning“ ist ruhiger und folkiger und nicht ganz so nah an Dylan, flottere Tracks wie „It Ain't the Rain That Sweeps the Highway Clean“ mögen klingen wie Dylan via Byrds, sind zwar nicht ganz auf dem Niveau des Vorbildes – aber mitnichten schlecht oder langweilig. Wer hier hinhört, muss man anerkennen - Blue war von all den Dylan-Wannabe's seiner Tage zweifellos einer der Besten.


Pat Kilroy


Light of Day

(Elektra, 1966)

Hier nun Einer, der völlig vergessenen wurde: Der in San Francisco geborene Patrick Anthony Kilroy hatte eine für diese Zeit sehr eigensinnige Vision davon, wie Folk aussehen könnte. Er hatte sich in den Clubs in der Bay Area als hervorragender Sänger etabliert und war Mitte '65 mit seinen Freunden Susan Graubard und Bob Amacker nach New York gegangen, um ein Solo-Album aufzunehmen. Vor der Fertigstellung machte er einen Trip nach Marokko und brachte von dort Einflüsse mit, die sich auf Light of Day – dem „ersten Acid Folk Album“ - deutlich niederschlugen. Man kann diese Einflüsse begrüßen oder nervig finden, die Tatsache bleibt bestehen, dass Kilroy eine sehr gute Stimme hatte, die fast an die von Tim Buckley heranreichte, dass einige der von Tablas und Flöte durchzogenen Tracks abenteuerlich, aber auch von einer fremdartigen Schönheit sind. Dass Kilroy's Debüt nach Jahrzehnten der Obskurität von der Freak-Folk-Gemeinde der 00er Jahre wieder-entdeckt wurde, scheint mir schlüssig. In deren Kreisen hätte er sich wohl zuhause gefühlt. Für einige Tracks holte er sich die Hilfe des Gitarristen Stefan Grossman und des Harp Players Eric Kaz – und der „Mississippi Blues“ mag im Vergleich zu anderen Tracks konservativ klingen, aber er zeigt eben deutlicher, was da an Talent zu finden war. Das darauf folgende „Vibrations“ stellt eine organische Verbindung von Blues und Eastern Folk dar – und zeigt, dass Light of Day zu jeder Zeit ziemlich allein gestanden hätte. Kilroy gründete in den folgenden Monaten mit Susan Graubard und Jeffrey Stewart das Trio The New Age, trat mit The Gratefuld Dead oder Quicksilver Messenger Service auf, traf in England u.a. die Incredible String Band - die sich einiges von ihm abgehört haben dürften – und starb dann 1967 völlig überraschend an einem Lymphom. Dass sein Album - wie viele Folk-Alben jener Zeit – in Vergessenheit geriet, ist verständlich: Diese Art von Folk hat eine Naivität, die nach den Sechzigern verloren ging, mit der man umgehen wollen muss. Dann aber erkennt man Musik, die eigentlich zeitlos ist. Ich empfehle, dieses Album zumindest mal anzuhören.


Eric Andersen


'Bout Changes & Things

(Vanguard, 1966)

Eines der Beispiele für den ernsthaften, akustischen Folk, der bis 1964-65 DAS Ding war – und für den das Vanguard-Label noch eine ganze Weile stehen sollte. Natürlich sind die Dylan-vor-65/Tom Paxton – Einflüsse deutlich herauszuhören (Paxton hatte Andersen entdeckt und von San Francisco nach New York geholt). Aber für den Dylan-Freund Andersen war die Modernisierung oder gar Elektrifizierung des Folk kein zwingendes Verdikt, noch gab es ein Publikum für seine mehr oder weniger traditionelle Herangehesweise – und vor Allem für die politischen Aussagen, die man seinerzeit durchaus regelkonform/folky oder ver“poppt“ präsentieren konnte. So ist 'Bout Changes and Things nicht nur wegen des Titles Eric Andersens The Times They Are A-Changing, es ist auch erwähnenswert, weil es neben dem traditionellen Sounds vor Allem durch feine Songs glänzt – und weil es ein oder zwei Jahre zuvor womöglich mehr Bdeutung erlangt hätte. War das Debüt aus dem Vorjahr noch unausgereift, so hatte Eric Andersen hier mit seiner Version von Arthur Crudups „That's Alright Mama“ eine überraschende Folk-Version des Elvis-Hits dabei. Er nutzte seine Stärke als Lyriker, der nicht explizit politisch ist, bei eigenen Songs wie „Violets of Dawn“, hatte mit „Thirsty Boots“ aber auch seinen Song für's Civil Rights Movement. Bei „The Hustler“ verschiesst er Wortsalven wie Dylan, aber „It's Alright Ma...“ und "Champion at Keeping Them Rolling" oder "Blind Fiddler" klingen wiederum wie traditionelle British Folk Balladen (Andersen war '65 beim Cambridge Folk Festival aufgetreten und hat dort vermutlich einige britische Kollegen getroffen) und „Hey Babe Have You Been Cheatin'“ klingt so, als wäre Buddy Holly Folkmusiker. 'Bout Changes & Things ist ein Album voller Abwechslung, von einem Künstler, der seinen Weg noch sucht – der ihn dann in den folgenden Jahren nicht wirklich fand – erst 1972 sollte er mit Blue River einen kurzen kommerziellen und künstlerischen Höhepunkt erreichen - um dann wieder zu einem Fall für Spezialisten zu werden.


Tim Buckley


s/t

(Elektra, 1966)

1966 war Tim Buckley gerade mal 19 Jahre alt -ein gutaussehender Jüngling mit zugegebenermaßen famoser Stimme, auf seinem Debüt aber noch ohne die vokale Pyro-Technik der kommenden Alben auskommend. Es war wohl zunächst geplant ihn als eine Art Folk-Teenidol zu vermarkten, aber schon auf Tim Buckley ließ der selbstbewusste Jung- Musiker sich nicht wirklich an den Teenager Markt anpassen. Das Album ist ein Hybrid aus folkigem Byrds-Jangle und von Jack Nitzsche orchestriertem Baroque Pop mit adoleszenten Lyrics. Buckley selber war mit dem in drei Tagen aufgenommenen Album höchst unzufrieden – sagte, es klinge nach „Disneyland“, aber selbst für die Top 40 zubereitete Songs wie „Aren't You the Girl“ oder „I Can't See You“ haben deutlich einen hohen Anspruch, und Songs wie „Strange Street Affair Under Blue“ mit Dreigroschenoper-Flair oder der hypnotische „Song Slowly Song“ weisen in Richtung späterer Alben. Mit Van Dyke Parks hatte er ein riesiges Talent als Begleiter an Piano und Harpsichord und mit dem Jazz-informierten Gitarristen Lee Underwood hatte er schon hier seinen Begleiter an der Gitarre für die kommenden Jahre gefunden. Buckley mag das Album wie gesagt nicht hoch geschätzt haben, aber wer dieses leider in den Siebzigern ausgebrannte und dann verstorbene Gesangs-Genie in „normalem“ 60er Jahre Sound hören will, wird hier fündig. Tim Buckley ist - wie so manche Alben dieser Zeit - die Entsprechung eines in Bernstein eingefrorenen Insekt's. Die folgenden Alben immerhin werden dann zu zeitlosen Meisterwerken, die die Grenzen des Folk transzendieren.











Freitag, 14. Februar 2020

1986 – Sonic Youth bis High Rise – Noise wird schön

Genau wie Hardcore, Punk, Blues – wie alle Genre's und ihre Bezeichnungen – ist auch Noise-Rock ein äußerst ungenaues Wort für Musik von Bands, die Einflüsse aus unterschiedlichen Richtungen mit EINER Gemeinsamkeit verbinden: Es ist lauter, fieser, nicht-transkribierbarer Lärm in, über, unter den Punk, Pop, Psychedelic Rock oder Hardcore gelegt wird. Dissonanzen, Distortion, Rückkopplungen sind mindestens genauso wichtig wie der „Song“, Lautstärke und Kontrollverlust spielen eine größere Rolle als ohrfreundliche Melodieseligkeit. Damit ist die Generation der Post-Punk, Post-Hardcore Bands der Mitt-Achtziger in den USA natürlich nicht wirklich innovativ. Vorbilder gibt es spätestens seit den Sechzigern mit The Velvet Underground, den Stooges, Red Crayola, aber auch mit den Japanern Les Rallizes Denudes (wenn man die in den USA kennt...). Auch „klassische“ Minimalisten wie John Cage oder LaMonte Young haben Einfluss auf das Geschehen – sind (bei Sonic Youth) sogar unmittelbare Lehrer. Man bewundert die Briten Public Image Ltd. ob ihrer Weigerung, den „Regeln“ des Punk zu folgen, ebenso wie den schillernden Dreck, den die Birthday Party bis zu ihrem Ende 1983 abgesondert haben. Man kennt wahrscheinlich auch Kraut-Rock, die Einflüsse aus der New Yorker No Wave Szene, aus Punk und dem daraus in den USA entstandenen Hardcore Punk laufen zusammen, etliche Musiker haben keine Lust dazu, den wachsenden Fundamentalismus und die damit einher gehenden stilistischen Limitierungen insbesondere in Hardcore-Kreisen zu befolgen und machen ihr eigenes Ding, indem sie sich optisch und stilistisch abgrenzen. So gibt es ab Anfang der Achtziger entgrenzten Lärm, gepaart mit Strukturen aus der Rockmusik – und man nennt das Noise-Rock. Erste Lautzeichen gibt es schon vor '86 mit Debüt-Alben der Swans und ihrer New Yorker Kollegen Sonic Youth und Live Skull, mit den EP's und Alben der Butthole Surfers, Big Black, Flipper, Squirrel Bait. Manche Hardcore-Flaggschiffe wie Minutemen oder Black Flag haben die Grenzen des Hardcore schon lange überschritten und werden möglicherweise von den selben Leuten geliebt, die auch Swans und Butthole Surfers hören. Aber machen die Noise-Rock? Wer das so nennen will, darf das tun – und so ist der Artikel über das SST-Label 1986 die Ergänzung zu diesem hier. Wollte ich 80er Noise-Rock definieren und das Jahr benennen, in dem er erstmals in beachtenswerter Zahl in Album-Form entzückte, so ist IMO '86 das beste Jahr dafür - denn es gab folgende Alben:

Sonic Youth


EVOL

(SST, 1986)

Mit Punk bzw Hardcore haben Sonic Youth wenig zu tun. Sie entstammen eher der Avantgarde-Ursuppe New Yorks, haben sich seit ihrer Gründung 1981 als intellektuelle, lärmende Seite des NY-No Wave etabliert, mit ihren beide vorherigen Alben Confusion is Sex und Bad Moon Rising unter klugen Köpfen mit Geschmack schon Interesse geweckt, aber durch die konsequente Vermeidung aller „Rockismen“ noch nicht so viel Erfolg, wie man sich ihnen wünscht. Aber nun wechseln sie auf Bitten von Greg Ginn zu dessen Label SST (der will 'raus aus der engen Hardcore-Kiste – siehe weiter unten), sie tauschen ihren Drummer Bob Bert gegen Steve Shelley von den (da noch) Anarcho-Punks Crucifucks und beginnen nun erstmals ihrem bis dato bewusst formlosen Noise Form zu verleihen, lassen Melodie zu, gar so etwas wie „Romantik“... Nicht missverstehen – sie sind noch weit von 1990 und Goo entfernt, aber sie schlagen jetzt den Weg Richtung Daydream Nation ein. Und so ist EVOL das erste wirklich große - „bedeutende“ - Album der New Yorker Noise-Rock Institution, eines, das mit Tracks wie dem unheimlichen Duo „Shadow of a Doubt“ und „Star Power“ samtene Düsternis verbreitet, das mit „Expressway to Yr. Skull“ tatsächlich eine der „Hymnen“ des Noise Rock liefert. Am Rande zu bemerken sei noch, dass bei „In the Kingdom #19“ der Minutemen-Bassist Mike Watt mittut – dessen Freund D Boon ein paar Wochen zuvor bei einem Auto-Unfall ums Leben kam und dem die Vier hiermit helfen wollten. Zu bemerken sei, dass Kim Gordon schon hier die coolste aller Sängerinnen und Bassistinnen ist, dass Steve Shelley's präzises Drumming die Songs nun zusammenhält, dass das traumhafte Zusammenspiel dieser Band schon hier hörbar ist – dass Sonic Youth eine beeindruckende Band waren – und das mit EVOL auch einem normalen Indie-Publikum Noise-Rock als konsumerabler Stil angedient wurde.


Swans


Greed

(K422, 1986)

Swans


Holy Money

(K422, 1986)

Swans sind von den hier versammelten Bands wohl diejenigen, die am wenigsten mit Punk bzw. Hardcore zu tun haben. Ihr Gehirn Michael Gira dürfte zwar grundsätzlich andere Musik als Seine wahrgenommen – aber nicht als Inspiration gesehen haben. Der hat von Beginn an sein eigenes Ding gemacht. Dass die vorherigen Alben und EP's dem Noise-Rock zugeordnet werden, hat mehr mit den Leuten zu tun, vor bzw. mit denen seine Band ihre ohrenbetäubenden Konzerte zelebrierte, als mit der Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Bands. Dass Filth von 1983 eines der ganz großen Noise-Alben ist – dessen Klasse u.a. auf seiner stilistischen Einzigartigkeit beruht - sollte Appetit auch auf das '86er Duo Greed und Holy Money machen. Beide Alben sind gleichzeitig in New York – wieder mit Martin Bisi - aufgenommen worden und - natürlich – thematisch miteinander verbunden. Und - beide Alben stehen gemeinsam für den Moment, in dem Swans bzw. Gira sich von der reinen kompromisslosen Härte und dem übertriebenen Machismo der Anfangstage hin zu einer gewissen „Milde“ bewegen – die irgendwann in den Neunzigern zum Gothic Folk führen wird. Aber! Greed und Holy Money sind immer noch Brocken aus Noise. Beton-Klötzen aus Drums, Gebet und Lärm, tief in den Boden gerammt. „Fool“, der Opener von Greed klingt nach einer abgemagerten, hasserfüllten Version eines Bad Seeds Songs, „Heaven“ wiederum lässt heutige Wissende an manchen Funeral Doom-Act denken – die wiederum den Noise aus dem NY der Mitt-Achtziger und die Swans insbesondere sicher kennen werden. Dass auf dem Titelsong des ersten Albums Gira's neue Muse Jarboe mit Piano und ihrer majestätischen, aber eindeutig femininen Stimme für ein bisschen Milde sorgt, macht Greed zum Album des Überganges bei dem Gira das neue Konzept noch nicht ganz durchdacht hatte. Greed scheint so der„schwächere“ Teil des Alben-Duo's. Für Holy Money hat Gira dann anscheinend die besseren - weil besser durchkomponierten - Songs zusammengestellt (...zur Erinnernung, beide Alben entstammen den selben Sessions). Schon der Opener „A Hanging“ hat eine gewissermaßen unterdrückte Bedrohlichkeit, zeigt eine Dimension mehr, als die pure Misanthropie vorheriger Alben. Jarboe's Chorgesang mag manches Gebet hier irgendwie „menschlicher“ wirken lassen, obwohl die Texte und das Konzept dieses Albums sich nach wie vor um Isolation, sexuelle Abhängigkeit und andere unerfreuliche Bestandteile der menschlichen Existenz dreht. Und bei „A Screw (Holy Money)“ hilft auch Jarboes femininer Einfluss nicht: Da donnern mehrere Schlagzeuge und Gira fordert dazu auf, sich vor dem neuen Gott „ Geld“ zu erniedrigen. Beide Alben sind – wie eigentlich alle Swans-Alben – schwer und anstrengend, aber Swans sind auch einmalig und schon zu diesem Zeitpunkt schon von einer beeindruckenden Konsequenz. Ich halte es für wichtig, auf folgendes hinzuweisen: Gira hat in den 00er Jahren diese beiden Alben sowie die Vorgänger Cop und Young God als Doppel-CD imt geändertem Tracklistnig veröffentlicht – was insbesondere bei Greed/Holy Money aus naheliegenden Gründen durchaus Sinn macht. Hier ist die Mischung gelungen, die eventuell schwächeren Tracks von Greed werden erhoben, das Konzept bleibt schlüssig, beide Alben bilden die Einheit, die '86 noch nicht erkennbar war. Hier empfehle ich also tatsächlich ausnahmsweise mal die CD... Aber Filth sollte als LP in die Sammlung...


Live Skull


Cloud One

(Homestead, 1986)

Dass Sonic Youth oder Swans irgendwann zumindest zum künstlerischen Establishment der populären Musik gehören würden, wurde Mitte der 80er höchstens von den Optimisten vorhergesehen, die sich mit gleicher Berechtigung auch für deren Fellows Live Skull begeisterten. Diese '82 gegründete NY-Noise Band war bei etlichen Konzerten Co-Headliner, war im CBGB's zuhause, hatte mit Bringing Home the Bait im Vorjahr sogar schon ein ausgereiftes Debüt geboten, ging zum gleichen Produzenten wie die Kollegen (Martin Bisi) und hatte – da noch im Gegensatz zu Sonic Youth und vor Allem Swans – die Fähigkeit Noise mit Songs zu verbinden. '86 waren die Vier eine solide Einheit, die beiden Gitarren von Tom Paine und Mark C. ein wunderbarer Wall of Noise, der aber auch Licht durchließ, die Stimme von Bassistin Marnie Greenholz genauso cool wie die von SY's Kim Gordon, die Drums von James Lo so kraftvoll und flink wie die von Steve Shelley. Vor Allem diese beiden waren zu dieser Zeit die beste Rhythm-Section in New York – man höre nur ihr komplexes Zusammenspiel auf „I'll Break You“. Der rezitierte misanthropische Text, der Gitarrenwirbel darunter – da würden Sonic Youth erst in ein paar Monaten hin kommen. Dass ihre Lyrics mitunter leicht psychotische Tendenzen haben, mag den Radio-Rock Hörer gestört haben - das von No Wave und Swans abgehärtete Publikum wohl nicht. So beenden sie Cloud One – mit seinem durchaus unheimlichen Cover - mit dem Track „The Loved One" mit den lebensfrohen Zeilen: You know I'm coming / to wreck your life / to tear your face off drive the stake / through the heart of your loved one „ Hier machten sie alles richtig, aber sie hatten nicht die Ausdauer der beiden anderen Noise-Rock-Institutionen. Sie machten mit Dusted und Positraction (da schon mit Thalia Zedek statt Marnie Greenholz) noch zwei sehr schöne Alben, aber dann war Schluss und Live Skull verschwanden vom Radar. Ihre ersten vier Alben dürften jeden Noise-Interessenten erfreuen.


Big Black


The Hammer Party

(Homestead, Rec. '81-'83, Rel. 1986)

Big Black


Atomizer

(Homestead, 1986)

Diese wunderbare Hardcore/Post-Punk/Noise-Rock Band existiert auch schon seit fünf Jahren, der junge Nerd Steve Albini hat sie irgendwo in Illinoise mit zwanzig Jahren gegründet, sich einen Bassisten und einen weiteren Gitarristen von den von ihme verehrten US-Punk-Lokal-Matadoren Naked Raygun geliehen (deren Throb Throb von '84 zeigt, was er an ihnen fand) und in den Jahren bis '86 auf einigen Singles und EP's seine recht ungewöhnliche Idee von Musik dargestellt. Die Compilation Hammer Party enthält die EP's Lungs ('82) und Bulldozer ('83), auf denen Albini zunächst quasi alleine, dann mit seinen Kumpels und einem Drum-Computer eine Art Prä-Industrial Noise im Songformat entwickelt. Albini – der sich in den kommenden Jahren als enorm einflussreicher und glaubwürdiger Produzent einen Namen machen wird – passte seinerzeit wohl nicht wirklich in die florierende Hardcore-Punk-Szene. Zu sehr „Student“, zu intellektuell vielleicht, zu wenig vordergründig hart, dafür aber auf andere Weise extrem, sind seine ersten EP's mit Big Black Solitäre des riesigen und damals sehr fruchtbaren US-Underground. Lungs spielte Albini noch alleine ein, vieles hier hört sich unentschieden an – Hardcore ist ein Option, Industrial ebenso, die Lyrics kommen aus dunkelsten Tiefen, es geht um Nekrophilie („Dead Billy“), es geht um den eigenen Tod („I Can be Killed“) - dass Albini seine Aggressionen in Musik fasste, ist erfreulich – wo wäre er sonst hin gelangt...? Lungs erinnert in seinem gezwungenermaßen reduzierten Sound an das Debüt von Suicide, die folgende EP Bulldozer zeigt, wie die Ergänzung einer zweiten Gitarre und Bass Albini's Musik in Richtung Hardcore schiebt, beweist aber auch, dass Albini's Idee von „Punk“ mit der anderer Bands jener Zeit wenig zu tun hatte. Die Drum-Machine marschiert voran, die Gitarren von Albini und Santaigo Durango überlagern einander, der Bass baut das Fundament. Auf Bulldozer klingen die Songs ausgereifter, vielleicht ein bisschen gebremst, die Lyrics sind noch immer unerfreulich, aber nicht mehr ganz so persönlich, wenn etwa bei „Cables“ der Schlachtung von Vieh beschrieben wird. Auf der CD-Version von Hammer Party wurde noch die danach folgende EP Racer X ergänzt, auf der der Sound von Bulldozer etabliert wird, die Compilation ist gut, die einzelnen EP's mag ich lieber, aber sie sind mitunter schwer zu finden. Albini hatte seinen Sound gefunden, seine extrem metallisch klirrende Gitarre und die verzerrten Noise-Ausbrüche machen ihn - für mich – zu einem Beispiel für genau das, was ich Noise-Rock nenne. Und die zusammen mit Hammer Party veröffentlichte erste reguläre LP von Big Black – Atomizer – ist dann der vorläufige Endpunkt einer Etwicklung, die mit der einiger anderer Bands zusammenläuft. Mit Dave Riley hatte Albini einen neuen Basisten, der mit der Roland-Drum Machine das nach Fabrik klingende Rhythmus-Gerüst baute, über dem die zwei Gitarren und eine Kreissäge irgendwas zwischen Industrial, Punk und Noise auftürmte. Dass Albini in ausführlichen Liner Notes den Hintergrund zu jedem einzelnen Song erklärt, deute ich als Freundlichkeit, die diesen Songs kein bisschen ihrer Bösartigkeit nimmt. Selbst-Verbrennung als „just something to do“ zu bezeichnen, ist verstörend, der Titel „Fists of Love“ dürfte selbsterklärend sein - Albini war angekommen – er hatte einen einzigartigen Sound, der sich auch von Bands wie Swans oder Sonic Youth deutlich genug unterschied, er hatte sein Konzept zu Ende entwickelt und würde mit dem hierauf folgenden Album Songs About Fucking eine weitere Kurve Richtung Post-Rock-Hardcore nehmen. Es gibt auf Atomizer mit „Kerosene“ eine weitere Noise-Hymne (wenn man so etwas so nennen kann), bei der Albini regelrecht in Flammen aufgeht, „Bad Houses“ klingt, als würden The Cure Hardcore versuchen, das komplette Album ist so hart, anstrengend und so wunderbar wie EVOL und Greed/Holy Money zusammen. So geht Noise-Rock.


Butthole Surfers


Rembrandt Pussyhorse

(Touch and Go, Rec. '84, Rel. 1986)

Butthole Surfers


Cream Corn from the Socket of Davis

(Touch and Go, Rec. 1985)

Nicht Alles, was „Noise-Rock“ genannt wird, kommt also aus den kulturellen Hochburgen der USA: In Texas gibt es auch eine Traditions-Linie exprerimenteller Bands – ich sag' nur 13th Floor Elevators. Und auch die Butthole Surfers kamen aus der studentischen Punk-Szene der texanischen Großstadt San Antonio, hatten sich nach Jahren der Erprobung, nach einem wunderbar chaotischen Debüt-Album (Psychic... Powerless... Another Man's Sac von '84) und nach einer Amerika-Tour einen leisen, aber exzellenten Ruf als wilde Punk/Psychedelic/Avantgarde Band erarbeitet... somit als Band, die dem Noise-Rock zuordnen mag, wer will. Dass die drei Freunde Gibby Haynes (voc), Paul Leary (g, b) und King Coffey (dr) enorm ideenreich und …witzig... waren, dass sie dazu sehr musikalisch waren, kann man an Rembrandt Pussyhorse erstmals wirklich erkennen (Komisch eigentlich, weil sie das Album zum größten Teil schon '84 aufgenommen hatten). Hier jedenfalls etablierten sie sich in ihrer Einzigartigkeit, hier erkennt man, dass die Verwendung von manipuliertem Tape-Material, Propeller-Drums und hämischem, durch alle möglichen Filter gejagtem Geschimpfe Methode hatte. Sie hatten sich eine gebrauchte 16-Spur Bandmaschine zugelegt, spieten nun mit all den wunderbaren Möglichkeiten herum, hatten unter all den Effekten und Lärm-Spuren seltsame Songs zu bieten, die (fast) an Captain Beefheart-Verdrehtheit heranreichten. Bei „Mark Says Alright“ knurrt der Bandeigene Pitbull mit, der Opener „Creep in the Cellar“ enthält Country-Fiddle Teile, die die Vorbesitzer auf einem Tape in der Bandmaschine vergessen hatten und die die Band aus einer Mischung aus Vergesslichkeit und Faszination in ihrem Track beließen, „Strangers Die Everyday“ klingt nach Gothic – wird aber von verfremdeten Radio-Klängen in den Wahnsinn getrieben, ehe es untergeht. Dass sie den patriotischen Guess Who-Hit „American Woman“ kaputt-covern hat eine erfreuliche Logik. Rembrandt Pussyhorse ist (auch wieder) chaotisch und seeeehr experimentell. Die Klammer Noise-Rock wird naturgemäß sehr gedehnt – aber man kann auch sagen, dass dieses Album der Butthole Surfers zeigt, was in Noise-Rock möglich ist. Auf CD Releases dieses Albums war dann noch die nach diesem Album – also '85 – aufgenommene EP Cream Corn from the Sockes of Davis zu finden. Und da hört man dann, was passiert, wenn ein paar Wahnsinnige ein Konzept wie das von Rembrandt... durchdeklinieren. Mit „To Parter“ gibt es einen wirklichen „Hit-Song“, der auf späteren Wahnsinn hinweist, „Moving to Florida“ wiederum hat auch nach Butthole-Standards äußerst bizarre Lyrics: (Well, I been movin' down to Florida / And I'm gonna bowl me a perfect game / Well I'm gonna cut off my leg down in Florida, child / And I'm gonna dance one-legged off in the rain...) – und Gibby Haynes Stimme erreicht erstmals die Muezzin-Qualitäten, die ihn bei allen Freunden des Abseitigen beliebt machen würde. Dass diese Band zu Beginn der Neunziger tatsächlich so etwas wie „Erfolg“ haben würde, scheint ein Wunder – aber sie verorteten ihre Wurzeln angeblich bei Dean Martin, Grand Funk Railroad und den Beatles. Egal – wenn dann solch unglaubliches Zeug dabei herauskommt...



Kilslug


Answer the Call

(Taang!, 1986)

Noise und „Metal“ - oder Hardcore, verlangsamt bis zum doomigen Black Sabbath-Tempo – ist nicht revolutionär (dafür ist der Black Sabbath-Bezug grundsätzlich ZU altmodisch), aber diese Art Noise-Rock ist Mitte der Achtziger dennoch ein ziemlich neues Konzept. Black Flag und deren Kopf Greg Ginn mit seinem Label SST haben den Doom entdeckt, eine Band wie Flipper (und deren Alben Generic: Flipper ('82) und Gone Fishin' ('84) haben da ein Feld bestellt, das inzwischen auch von anderen beackert wird. Wobei ich zu Beachten gebe, dass Kilslug's erste Single von '82 ist – somit ist hier nicht von Epigonentum auszugehen. Auf ihrem ersten und (bis zu einem Re-Union Album 2012) einzigen Album Answer the Call bekommt man eine erfreulich ungewöhnliche Mischung aus Black Sabbath-Doom, US-Hardcore und dem hämischem Schrei-Gesang von Larry „Lifeless“ Coyle geboten. Der pflegt auf ansprechend „creepy“ Art und Weise seine Misanthropie, murmelt bei „Tart Cart“ vor sich hin, Wen er alles Wie umbringt, und preist beim Proto Grunge von „Make It Rain“ die Freuden des Blut-Trinkens. Es gibt ein paar kurze Intermezzi zwischen den Songs, die nicht nötig wären, aber dafür sind mit „Death Squad“ oder „Devil Red“ wunderbar düstere und kaputte Songs dabei. Answer the Call wirkt mitunter wie eine bewusst übertrieben Verarsche der Hass-Tiraden etlicher Hardcore Acts dieser Zeit. Somit haben Klislug entweder sehr schrägen Humor, oder sind wirklich krank. Aber All das wäre unwichtig, wäre ihr Proto-Sludge langweilig. Denn das originelle Splatter-Konzept ist genauso gelungen wie der Gitarren-Sound und einige der Songs. Keiner klang so, keiner war so seltsam und noisy – was neben der Unerfahrenheit und geringen Vertriebs-Breite des Bostoner Labels Taang! Records vermutlich dazu führte, dass das Album ziemlich unbekannt blieb und erst mit der Zeit seinen Kult-Charakter bekam. Kilslug wären bei SST vielleicht besser aufgehoben gewesen. So ist dieses Album in physischer Form zumindest in Europa nur mit erheblichem finanziellen Aufwand erhältlich. Taang! Rec. Haben es immerhin 2016 in den USA wiederveröffentlicht. Dass Larry Lifeless in den 00er Jahren eine Band mit dem Namen Adolf Satan hatte, bei der der Noise nur noch dumpf war, kann dieses eine Album für mich nicht diskreditieren.


High Rise


II

(PSF, 1986)

Zum Abschluss dieses kleinen Kapitels (das seine Ergänzung in dem Artikel über das Jahr '86 und SST Records finden soll...) MUSS ich die USA – das Land des Noise-Rock – verlassen und mich nach Japan wenden. Denn dort gründen die Wurzeln des Noise Rock mindestens so tief, wie in den USA. Hier gibt es seit Anfang der 80er das Label PSF Records – benannt nach der Band Psychedelic Speed Freaks – die wiederum niemand anders sind, als High Rise zwei Jahre vor ihrem ersten Longplayer. Labelgründer Hideo Ikeezumi hatte eine massive Vorliebe für härtesten psychedelischen (Noise)-Rock, wie ihn in den Jahren zuvor Bands wie Les Rallizes Denudes, Flower Travellin' Band, Love Live Life + One oder Far Out definiert hatten: Es ist seltsam – aber die japanischen Psychedeliker der 70er haben allesamt eine völlig übertriebene Nutzung von Distortion und Feedback gemeinsam. Waren Flower Travellin Band in den Siebzigern aber auch durchaus noch von sanfter Psychedelik beeinflusst, so wurde der Lärm in den 80ern immer größer - und gelangte nun mittels PSF an die wenigen Ohren, die dafür bereit waren. High Rise II ist weißes Rauschen, ist unter Gitarren-Gekreische vergrabene harte Rockmusik, bei der der Gitarrist regelmäßig die Kontrolle verliert. Dass die im Grunde „rockistische“ Musik auf High Rise II für mich unter den Begriff „Noise-Rock“ firmiert, hat nicht nur mit diesen Ausbrüchen zu tun. Das Power Trio aus Bassist/Sänger Ahahito Nanjo, Gitarrist Munehiro Nirita und Drummer Yuro Ujiie war ausdrücklich dem Punk der Ramones genauso verbunden wie dem Psychedelik-Kraft-Rock von Cream. Und dann ist die Aufnahme-Qualität hier bewusst dermaßen roh, hässlich und primitiv, dass es genug Hörer gibt, die dem Album unterstellen, mit kaputtem Equipment in einer Mülltonne aufgenommen worden zu sein - Aber mitnichten! Genau dieser Sound ist gewünscht und essentiell. High Rise waren mit dieser Musik und dieser Haltung in der so „disziplinierten“ Gesellschaft Japans ganz sicher Aussenseiter. Und diese Position wird in dieser Gesellschaft anscheinend mit weit größerer Vehemenz vertreten, als in den USA oder Europa. Danach jedenfalls klingt dieses Album und Songs wie das 13-minütige „Pop Sicle“. High Rise II setzte für Dekaden den Standard für japanischen Noise-Rock Bands wie Fushitsusha, Acid Mothers Temple, Boris, Boredoms, Melt Banana, Mainliner (die Nachfolge-Band von High Rise) etc pp...







Freitag, 22. November 2019

1980 – The Sound bis Psychedelic Furs – Musik nach Punk = Post Punk im United Kingdom

Und schon wieder: Ein Genre, eine Schublade, eine Bezeichnung für Musik einer bestimmten Zeit, die Bands mit im Grunde völlig unterschiedlichen Ideen unter einen Hut stopfen. Die Fakten: Nach der „Explosion“ des Punk, nachdem sich junge Musiker von der vorherigen - etablierten – Generation von Musikern emanzipiert hatten, indem sie die Rockmusik wieder auf ihre einfachsten Elemente reduziert hatten, kamen nun wieder Elemente hinzu, die Alles wieder etwas komplexer machten. Die Musiker des Post Punk sind nicht mehr von Blues und Beat beeinflusst, sie bauen nicht auf Folk oder Country auf, sie holen sich ihre Einflüsse aus anderen Ecken – aus Dub, Elektronischer Musik a la Kraftwerk, aus Funk und Krautrock, Art Rock und Experimentalmusik. Vom Punk nehmen sie die Freiheit, ohne allzuviel Zierrat und Virtuosität arbeiten zu müssen, aber im Unterschied zum Punk wollen sie nicht nur abreißen, sie wollen etwas Neues bauen. Mag sein, dass der Anbruch des neuen Jahrzehnts dazu Anlass bot, aber es kamen auch etliche weitere Faktoren dazu, die die Musik frischer klingen ließen, als zuvor. Die Gesellschaft hatte sich verändert, war - mit der Wahl Thatcher's in England - kälter geworden, Illusionen über ihre Veränderbarkeit waren dahin, zugleich war auch das Zusammengehörigkeitsgefühl der jungen Generation der zu dieser Zeit 15-20 jährigen ein Anderes – jetzt waren junge Leute auf sich gestellt und konnten nicht mehr annehmen, in eine bunte und friedvolle Zukunft zu starten. So klingen dann die Bands dieser neuen Generation entweder wütender, zynischer oder verzweifelter als ihre Vorgänger. Selbstverständlich kann man das Jahr 1980 nicht konkret als Zeitpunkt festlegen, an dem Post-Punk begann, die ersten Bands die solche Musik machten sind da schon Veteranen ( Talking Heads,Pere Ubu in den USA, Wire, The Fall, PIL im UK), und deren Vorbilder wiederum (Bowie, Iggy Pop, Kraftwerk etc) haben Wurzeln in den frühen Siebzigern. Aber 1980 haben etliche Bands, die man mit „Post-Punk“ verbindet, ihre Album-Premiere. Und dieser Sound des Post-Punk hat weit mehr als Punk die Musik der kommenden Jahrzehnte geprägt..... Was auch daran liegt, dass er so heterogen ist, dass man nur mit viel Großzügigkeit – oder weil es einfach praktisch ist - von einem Genre sprechen kann. Gemeinsam ist zumindest den meisten Bands ein starker, oft pulsierender Rhythmus, mal nervös und funky, mal maschinenhaft und minimalistisch, spinnenhafte Gitarren ohne solistische Eskapaden, monotoner Gesang, der mit den Prog-Rock Sängern oder Blues-Shoutern der frühen Siebziger nichts zu tun haben will und eine kalte, enweder düster oder grell überfärbte Atmosphäre – man sieht schon, viel Spielraum für Unterschiedlichkeiten. Hier einige Beispiele aus 1980, die ich an anderer Stelle in einem zweiten Kapitel um noch weitere Alben (Soft Boys, Durutti Column etc...) ergänzen werde


WIE wichtig das Jahr 1980 für die Entwicklung des Post-Punk in England (...und in den USA) ist – oder umgekehrt – wie wichtig Post-Punk für die Musik des beginnenden Jahrzehntes ist, sehe ich allein schon daran, dass ganze vier Alben aus dem „Hauptartikel 1980“ im Kapitel Post-Punk '80 ihren Platz haben könnten bzw. müssten. Aber die vier wurden dort hinreichend gewürdigt, lies bitte nach – und beschäftige dich zur Vertiefung mit den hier unten gewürdigten weiteren 12 Bands mit ihren Alben des Jahres 1980. Es lohnt sich - denn so manches Album könnte genauso gut im Hauptartikel Platz finden...


Joy Division - Closer - (Factory, 1980)



Joy Division waren immer eine Nummer für sich. Ihr depressiver Post-Punk – 1980 auch noch durch den Suizid ihres Sängers Ian Curtis mit einer zugegebenermaßen perversen Glaubwürdigkeit ausgestattet – wurde im Laufe der Jahrzehnte zum Vorbild für Hunderte von Epigonen und ist zugleich ähnlich unnachahmlich geblieben wie der Sound von Curtis' Vorblildern The Velvet Underground.




The Cure - Seventeen Seconds - (Fiction, 1980)


Mit ihrem zweiten Album legen The Cure die Fundamente für eine über Dekaden andauernde Karriere - und für einen kompletten Stil: Gothic – den sie mit Siouxie and the Banshees (siehe weiter unten) erstmals klar formulieren.


Echo and the Bunnymen - Crocodiles - (Korova, 1980)


Dass Post-Punk und Psychedelic Music gut zusammen gehen, lässt sich an diesem Debüt-Album wunderbar beweisen. Aber Echo and the Bunnymen sind da nicht die Einzigen, ich HÄTTE auch Teardrop Explodes in den Hauptartikel setzen können. Habe ich aber nicht – vielleicht weil Echo and the Bunnymen dann auf noch mindestens drei weiteren Alben ihre Klasse bewiesen haben


The Comsat Angels - Waiting for a Miracle - (Polydor, 1980)


The Comsat Angels sind eine dieser persönlichen Vorlieben. Ihr Sound ist einzigartig, ihre Songs sind groß und ihr Debüt gehört zu den vielen anderen Klassikern des Post-Punk. Sie sind der (eigentlich unnötige...) Beweis für den Facettenreichtum des Genre's Post-Punk – so wie...


The Sound


Jeopardy

(Korova, 1980)

Der Kopf der Band The Sound (… dummer Name eigentlich...) Adrian Borland hatte schon einige Erfahrung mit seiner vormaligen Punk- Band The Outsiders gesammelt. 1979 benannten sie sich in The Sound um und veröffentlichten ihr Debüt Jeopardy. - eines dieser Alben, die trotz unzweifelhafter Qualitäten obskurer geblieben sind, als verdient – vielleicht weil es ein paar Bands gab, die ihnen durchaus ähnelten. Borlands Gesang zum Beispiel erinnert an den von Ian McCullough von Echo & the Bunnymen und neben seinem feurigen Gitarrenspiel prägte der melodische, an Joy Division erinnernde Bass den Sound der Band. Der erste Song der LP, „I Can't Escape Myself“ beginnt noch recht sparsam mit spinnenhaften Gitarren und NEU!-artigen Synthie-Sounds ehe er im Chorus mit aller Gewalt losbricht. „Heartland“ ist ein komplexes Meisterstück, eine Mischung aus XTC-Nervosität und U2-Hymne. „Hour of Need“ erinnert an Joy Division's „Passover“ mit Synthies, die dem Song eine zusätzliche Farbe verleihen. „Unwritten Law“ kommt als Mid-Tempo Song daher und zeigt wie man mit dünnen Synthie-Schlieren einen Song effektiv ausschmücken kann. Es ist wieder so ein Fall, in dem ich nicht verstehe, warum Jeopardy nicht gleichberechtigt und verehrt neben den bekannteren Platten aus dieser Phase der Rockmusik besteht The Sound haben in Bands wie Interpol definitiv Nachahmer gefunden, aber die Tatsache, dass sie stilistisch immer irgendwo zwischen - und manchmal eben zu nah an - den vorgenannten Bands saßen, mag größeren Erfolg verhindert haben. Dabei hatten sie wirklich gute Songs und einen interessanten Sound. Sie sollten bekannter sein – und ihre Alben sollten leichter erhältlich sein, als sie zur Zeit sind..


Killing Joke


s/t

(e.G., 1980)

Kann es zu Beginn der 80er schon den Begriff „Industrial Punk“ gegeben haben? Es ist jedenfalls eine passende Etikettierung für die Musik auf Killing Joke... aber zu dieser Zeit wurde von Punk beeinflusste Musik einfach New Wave genannt. Die 1979 in London gegründete gleichnamige Band verband auf ihrem Debüt Punk mit einem Sound, der damals keinen Namen hatte, der auf Jaz Colemans aggressivem, parolenhaften Gesang, kraftvollen, maschinenhaften Drums und dem trockenen Spiel des Bassisten Youth basiert, über das Gitarrist Geordie eher Metal-Riffs schweißte, als sie zu spielen. Dass Coleman's Lyrics dazu von Umweltzerstörung, Ausbeutung und Entfremdung handeln, dass er immer leicht psychotisch und äußerst wütend klingt, macht das Album wunderbar intensiv. Eigentlich hat dieses Debüt einen Sound, der erst Jahre später von Musikern und Produzenten wie Steve Albini oder Al Jourgenson (Ministry) etabliert wurde. Songs wie „Requiem“ oder „The Wait“ würden auf Alben kommender Generationen von Thrash Metal oder Hardcore Acts passen. Tatsächlich wurde letzterer Song von Metallica gecovert, tatsächlich nannten Bands wie die New Yorker Hardcore Institution Prong später Killing Joke ausdrücklich als Inspiration – und rekrutierten zwischenzeitlich deren Bassisten. Damit kein Missverständnis aufkommt: Killing Joke ist Post Punk, aber der breitett ja – wie oben gesagt – schnell über ein sehr weites Feld von Einflüssen und Sounds aus. Killing Joke klingen härter und metallischer als der Rest ihrer Zeitgenossen. John Peel förderte die Band wohlwollend, und sie hatten das Selbstbewusstsein, zwei ihrer besten Songs nur als Single zu veröffentlichten. Das Album Killing Joke ist ein so großes Versprechen, dass die Band es in den nächsten Jahren schwer haben sollte, das in aller Konsequenz einzulösen.


The Teardrop Explodes


Kilimanjaro

(Mercury, 1980)

Dass Julian Cope ein großer Fan des Kraut-Rock und des Psychedelic Rock ist, weiss man jetzt (wenn man ihn und sein literarisches Standardwerk über diese Musik kennt), dass er das schon 1980 war, als er mit seiner damaligen Band Teardrop Explodes bekannt wurde (...der Name allein...) kann jeder erkennen, der ihr Debüt aufmerksam anhört. Sie waren neben Echo & the Bunnymen die führende Neo-Psychedelic Band in Liverpool (sie teilen auf ihren jeweiligenen Debütalben sogar den Song „Read it in Books“), und Cope war damals schon ein zumindest erratisches Genie und der Umgang mit ihm soll schwierig genug gewesen sein. Der notorische Musik-Nerd versuchte auf Kilimanjaro seine Musik-Kollektion in ein Album zu destillieren: Da ist die Love/Doors Achse, da sind die pulsierende Krautrock Rhythmen von „Poppies in the Field“ sowie seine durchaus kreative Version Syd Barret'scher Poesie. Dazu kommt eine Energie, die an Pere Ubu denken lässt, die einen anspringt, die nur nicht ganz so urban ist wie die der Band aus Cleveland. Kilimanjaro ist Post Punk im besten Sinne, so wie vieles hier auf diesen Seiten. Seite Eins des Albums ist fast fehlerlos, der Sound mag manchmal zu poppig geraten sein – sicher nicht von Cope beabsichtigt – aber das schadet brillianten Songs wie „Sleeping Gas", "Treason", "Second Head" und dem obengenannten"The Poppies Are In The Field" (mit der bezeichnenden Textzeile „but don't ask me what that means") nicht. Die zweite Seite fällt etwas ab, aber da gibt es dann noch das Highlight „When I Dream“ - ein Song der so catchy ist, dass nicht einmal der endlose Unsinns – Refrain mit seinem „and I go op bop bop bop bop bop bop bop bop bop bop-bop-bop-bop bu-u-u-um“ stört. Witzig und bezeichnend, dass sie gerade damit die unteren Ränge der amerikanischen Billboard Charts erreichten


Siouxie & The Banshees


Kaleidoscope

(Polydor, 1980)

Janet Susan Ballion aka Siouxie und ihre Banshees waren im Vorjahr mit Robert Smith als Aushilfs-Gitarrist auf Tour gewesen, und - wer weiss – vermutlich haben die Beiden da einige Gemeinsamkeiten entdeckt – und beschlossen, eine dunkel getönte Ästhetik des Morbiden als Grundlage für ihre weiteren musikalischen Projekte zu entwickeln. Smith und Siouxie sind Individualisten in höchstem Maße, dass ihre Musik sich deutlich unterscheidet, ist klar, aber es ist interessant zu sehen, dass sowohl Seventeen Seconds von The Cure als auch Kaleidoscope von Siouxie und ihren neu formierten Banshees im vergleich zu den vorherigen Alben der Bands ein echter Stil-Wechsel sind. Über Seventeen Seconds lies bitte an anderer Stelle, Kaleidoscope ist ein weiterer Meilenstein des Post-Punk – und ebenfalls eine Defintion von Gothic. Im Gegensatz zu Seventeen Seconds farbiger, getragen von Siouxie's kühler, eleganter Stimme, von einer Band, der man nicht anmerkt, dass sie sich gerade neu finden musste, mit Songs, die für mich näher an „Pop“ sind, die tatsächlich Ohrwurm-Qualität haben (was The Cure natürlich auch hatten). Die Reduziertheit des Sounds mit den klar definierten Grund-Elemente aus Siouxies Stimme, Budgie's schlicht-effektiven Drums, dem melodischen Bass von Steven Severin und den Gitarren-Splittern von John McGeoch – der gerade Magazine verlassen hatte und der mit seiner ökonomischen Spielweise den New Wave-Gitarren-Sound regelrecht erfand, ist einerseits fast klischeehaft, andererseits wegen der zeitlosen Songs doch so besonders. Tracks wie „Happy Hous“, „Hybrid“, „Christine“ oder „Red Light“ sind zeitloser Pop, würden in fast jedem Gewand gut aussehen, sind aber eben im Gothic-Style perfekt. Man kann Siouxie and the Banshees tatsächlich nicht so leicht beschreiben – Eine Frau als Band-Kopf war seinerzeit noch ungewöhnlicher als heutzutage, aber dieser Frau wurde damals mit jedem denkbaren Recht eine Anerkennung gezollt, wie sie eine Künstlerin wie PJ Harvey zehn Jahre später bekommen würde. Und Kaleidoscope ist nur eines von mehreren tollen Alben.


Bauhaus


In the Flat Field

(Beggars Banquet, 1980)

Wer Gothic sagt, sagt auch Bauhaus – und obwohl Bauhaus-Sänger Peter Murphy darüber arg in Zorn geraten wäre, gilt das mindestens für die ersten Jahre in der Karriere der Band aus Northampton, die im Vorjahr mit den neun Minuten der Single „Bela Lugosi's Dead“.... na ja – zumindest eine der besten Singles des Post-Punk veröffentlicht hatte, und die jetzt ihr Debüt-Album In the Flat Field nachlieferte. Es stimmt ja – sie haben das Beste von Bowie, den Velvets, Iggy Pop und Joy Division genommen, und dem noch einen Twist in Richtung samtener Morbidität gegeben. Das Alles wird mit der in dieser Zeit angesagten Reduktion im Sound und in den Mitteln erzeugt. Es hat den Geist des Punk in sich, weil auch hier Virtuosität keine Rolle spielt, Der Song und die Atmosphäre der Musik dafür umso wichtiger ist. Und was Dramatik angeht, machte Bauhaus so gut wie keiner etwas vor. Man höre nur die hysterischen Gitarren, das bedrohlich monotone Gerumpel von Bass und Drums und Murphy's unheilschwangeren Bariton beim Titeltrack. Bauhaus waren genau genommen „nur“ eine weitere Post-Punk Kapelle, die mit den bekannten Zutaten eine Suppe mit eigenem Geschmack erzeugten. Auch bei ihnen spielte die Gitarre von Daniel Ash abgehackte Licks, auch hier spielte David J einen prominenten Bass, auch hier war das Drumming von Kevin Haskins nicht selbstverliebt, sondern ein effektiver Motor. In the Flat Field wird immer als eines der ersten Gothic-Alben genannt werden, weil Bauhaus sich – wie Siouxie and the Banshees und The Cure - einer bestimmten Ästhetik bedienten. Und natürlich finde auch ich Tracks wie „A God in an Alcove“ oder „Stigmata Martyr“ nicht nur wegen ihrer Titel „gothic“. Die distanzierte Kühle, die skelettierte Musik, die seltsamen Geräusche und das Image, das Bauhaus sich seit ihrer ersten Single selber verpasst hatten, spielen zusammen – und machen In the Flat Field zu einem Solitär des Post Punk.



Swell Maps


In „Jane from Occupied Europe“

(Rough Trade, 1980)

...aber britische Post-Punk Bands können auch „arty“ klingen – können Kunst von ähnlicher Konsequenz und vordergründiger Unzugänglichkeit erzeugen, wie man sie bei US-Post-Punk Bands wie Tuxedomoon, Pere Ubu oder den Residents findet. Die Swell Maps waren britischer Art Punk, bezogen sich auf die Motorik von Kraut-Rock Bands wie Can oder Neu!, hatten mit Adrian Godfrey aka Nikki Sudden einen Noise-Gitarristen, der monolithische Wälle baute und mit dessen Bruder Kevin Godfrey aka Epic Soundtracks einen Pianisten und Sound-Manipulator, dessen Ideen verrückt genug waren, die Swell Maps weit ausserhalb des Mainstreams zu halten, den bald Bands wie The Cure oder U2 erobern würden. Swell Maps In „Jane from Occupied Europe“ war das zweite Album einer Band, die klang wie eine Land-Kommune, die man aus der Hippie-Zeit in die Post-Punk Ära gebeamt hatte. Ihre beiden Alben – dieses und der Vorgänger A Trip to Marinville - zeigen, wie experimentelle Musik mit UK-Post-Punk Hintergrund ist. Ein Track wie „The Helicopter Spies“ dürfte später Bands wie Sonic Youth und Pavement mit seiner Kombination aus textlichem Dadaismus, ungestimmten Gitarren und schlampigem Drumming massiv beeinflusst haben. „Cake Shop“ wiederum ist reiner Pop – allerdings in Lärm getaucht und so nachlässig behandelt, dass man ihn fast nicht erkennt. Man kann es den Swell Maps vorhalten, dass sie sich nicht einmal ansatzweise Mühe gaben, irgend jemandem zu gefallen. Aber es gibt ja auch Leute, die genau das zu schätzen wissen.


The Fall


Grotesque (After The Gramme)

(Rough Trade, 1980)

Na ja, Mark E. Smith ist tot und ich kann ihn ohne Widerspruch in diesen Zusammenhang stellen. Ich vermute, der Querkopf würde sich weigern, mit Bauhaus, The Sound oder Swell Maps in einem Atemzug genannt zu werden – aber The Fall sind tatsächlich einfach immer nur The Fall. Das galt, als sie im Vorjahr mit Live at the Witch Trails und Dragnet den britischen Post-Punk Underground erstmals aufschreckten und das würde für die kommenden 38 Jahre gelten. Ihr drittes Studio-Album (nach einem mir etwas ZU rohen Live-Album – da empfehle ich eher In a Hole von '83) zeigt dieses Projekt immer noch im Such.Modus... wobei – den hat Mark E. Smith irgendwie nie verlassen. Grotesque (After the Gramme) verbrät alle zu dieser Zeit bekannten Stilarten der Popmusik, wird von einer Band eingespielt, die all das völlig verfremdet und in den Zusammenhang mit Smith's Lyrics und seinen Schimpf-Tiraden stellen muss. Natürlich hatten The Fall Kollegen, mit denen sie auf Tour waren, die ihnen ein bisschen ähnlicher waren, aber auch auf dieser Leistungsschau hier kann ich nicht sagen, dass The Fall klingen wie..... Da wäre zum Beispiel Rockabilly bei „The Container Drivers“, der dadurch, dass Smith seinen Spott über dumme Truck Driver ergießt, jede Unschuld verliert. Die absurde Geschichte über den Hundezüchter, der seine Tiere ein bisschen ZU lieb hat, wird musikalisch von irgend etwas zwischen Punk, Noise und Kraut unterlegt – und wieder formt die Story den Song. Bei längeren Tracks wie „The NWRA“ oder „C'n'C-S Mithering“ wird Kraut-Rock benutzt und in The Fall-Musik verwandelt, und mit „A New Face in Hell“ machen The Fall fast so etwas wie netten Pop – bei dem Smith eine paranoide Detektiv-Geschichte hervor-kreischt. The Fall wurden besser und besser, ihr drittes Album Grotesque... ist ein Kaleidoskop von Möglichkeiten, die allesamt in den kommenden Jahren eingelöst werden. Ich habe es anderswo schon gesagt: Die ersten acht (ja, 8!) Studio-Alben von The Fall sind unersetzliches Kulturgut. Und unter den restlichen 30 sind auch noch etliche Perlen.


Magazine


The Correct Use Of Soap

(Virgin, 1980)

Magazine


Play.

(Virgin, 1980)

Dass Magazine – die formidable Band um den Ex-Buzzcock Howard Devoto – so erfolglos war, dass ihr Gitarrist John McGeoch sie noch Mitte '80 verließ, zeigt, dass man mit Post-Punk seinerzeit offenbar doch noch nicht wirklich reich werden konnte. Es gibt zwar in den Jahren um '80 etliche Alben, die zu Klassikern des Post-Punk wurden und heute den entsprechenden Stellenwert haben – aber reich wurden die Musiker in ihren Zwanzigern damals erst einmal nicht. Dabei hätten Magazine das wahrlich verdient. Alle drei Studio-Alben von Magazine sind nah an der Perfektion. In der Trilogie von Real Life ('78) über Secondhand Daylight ('79) bis zum '80er The Correct Use of Soap findet man Alles, was Post-Punk spannend und visionär macht. Magazine waren experimentier-freudig, sie hatten großartige Musiker in ihren Reihen, sie hatten Songs, die Pop und Anspruch verbinden, sie hatten einen eigenen Stil – was nur fehlte, war der ganz große Erfolg, den Howard Devoto sich gewünscht hatte. Für ihr drittes Album wandten Magazine sich – dem Trend der Stunde folgend – noch weiter dem Sound der Synthesizer zu, sie baten Factory/Joy Division Produzenten Martin Hannett um seine Hilfe, kamen mit dem Album tatsächlich auch in die Top 30 im UK – aber das reichte Devoto nicht und McGeoch fühlte sich im Umfeld all der Synthies unerwünscht – und so begann der Anfang vom Ende von Magazine. Bedauerlich, wenn man Song-Perlen wie „Model Worker“, „Philadelphia“ oder „Song from Under the Floorboards“ hört. Devoto ist ein fast so zynischer Texter wie Mark E. Smith ("I know the meaning of life, and it hasn't helped me a bit"), er hat aber nicht dessen Art zu Schimpfen, klingt eher kühl und roboter-haft – was zur Musik passt. Seine Songs sind progressiver Punk/Power-Pop, gefiltert durch Roxy Music, und Barry Adamson's Bass und John Doyle's Drums sind so rhythmisch, dass es mir passend erscheint, dass sie hier sogar Sly & The Family Stone's „Thank You (Falettinme Be Mice Elf Agin)“ covern. Immerhin war es mit diesem Album noch nicht vorbei. Magazine gingen auf Tour und nahmen in Melbourne am 6. September das Live-Album Play. auf. Für - den wie gesagt zu Siouxie and the Banshees gewechselten - McGeoch nahmen sie den Ex-Ultravox Gitarristen Robin Simon mit, der McGeoch hervorragend ersetzte. Dass genug Songs da waren, um ein spannendes Konzert zu liefern, ist mit drei so gelungenen Studio-Alben im Rücken wohl logisch, die Reduziertheit und Energie des Punk, gepaart mit intellektueller Kühle, einem glasklaren Sound und einer gehörigen Portion Dringlichkeit machen Play. zu mehr, als einer bloßen Best-Of Kopplung mit Applaus. Play. wird zu Recht als eines der besten Live-Alben seiner Zeit bezeichnet, auch Dave Formula's Keyboards/Synthsizer sind organisch in die alten Songs eingebaut. Ich bin davon überzeugt, dass Magazine auch in den kommenden Jahren hätten Erfolg haben können. Sie hatten nur nicht die Geduld von Zeitgenossen wie Simple Minds oder U2. ...und das ist aber auch ein bisschen egal. Es gibt mindestens drei großartige Post-Punk Alben, die ich jedem empfehle, der sie noch nicht kennt.


XTC


Black Sea

(Virgin, 1980)

Ich weiss nicht genau, ab wann XTC keine bervöse New Wave Band mehr waren, sondern eine Band in einer so eigenen Kategorie, dass es mir schwer fällt, einen beschreibenden Begriff dafür zu finden. Post-Punk? Na gut, die zeitliche Einordnung passt, aber allerspätestens 1979 mit dem Album Drums and Wires verließ XTC jede Punk-Anwandlung. Und mit dem Nachfolger Black Sea wandten Andy Partridge und sein Kollege Colin Moulding sich in Richtung Kunst-Lied, das höchstens in seiner Nervosität an Zeitgenossen wie Magazine, in den psychedelischen Anmutungen vielleicht an Teardrop Explodes denken ließ. Aber wenn ich alle Schubladen vergesse, ist Black Sea einfach nur ein abwechslungsreiches Album voller dermaßen ausgefeilter Songs, dass es anstrengend ist, in dieses Kaleidoskop zu blicken. Acht Songs vom hyper-aktiven Genie Partridge, drei vom zurückhaltenden Genie Moulding – kein einziger Ausfall. Direkt ins Ohr geht der Opener „Respectable Street“ - Kinks und Beatles in die Achtziger geholt, „Mouldings' „Generals and Majors“ wiederum ist ein regelrechter Ohrwurm in ober-schlau „Living Through Another Cuba“ - eigentlich viel zu komplex um im Ohr zu bleiben - schafft es aber trotzdem. „Burning With Optimism's Flames“, mit diesen seltsam versch(r)obenen Rhythmen und wieder einer bezaubernden Melodie, und als Abschluss des Albums mit „Travels in Nihilon“ tatsächlich so etwas wie ein absurd-düsteres Prog/New Wave Epos... Und das in einer Zeit, in der die „New Wave“ gerade erst losrollt. Ganz lustig, dass auch hier der Produzent Steve Lillywhite ist, der bei den Psychedelic Furs auf deren Debüt (siehe hier unten) weit weniger detailliert zur Sache geht – weil er es nicht muss, würde ich sagen.


The Psychedelic Furs


s/t

(CBS, 1980)

Was die Sex Pistols '76 und '77 alles ausgelöst haben (sollen) … Die Butler-Brüder Simon, Tim und Richard waren bei einem der ersten Konzerte der damals noch ungesignten Pistols gemeinsam mit The Clash und den gerade entstandenen Siouxie and the Banshees gewesen – und beschlossen nach diesem Erlebnis, ebenfalls Musik zu machen. Vorbilder kamen aus dem Elternhaus: Dylan, Woody Guthrie, Edith Piaf, dazu lernte Richard in der Kunstschule die Velvets, Bowie und Roxy Music kennen, und die Tatsache, dass anscheinend jeder Musik mit Haltung machen konnte, war so befreiend, dass sich schnell eine Band für Konzerte zusammenfand. Lärm, Energie, Begeisterung, bald eine Single, die John Peel gefiel – und der Plattenvertrag war da. Das Debüt der so bezeichnend „Nach-Punk“ benannten Band ist ein Konglomerat der Einflüsse der genanntenVorbilder und zugleich wieder ein Zeichen dafür, WIE sehr Punk und das, was sich daraus entwickelte die populäre Musik erneuert hat. Von der Band selber wurde die Musik als „Beautiful Chaos“ bezeichnet, in der Tat hört man, dass Sänger Richard Butler Dylan genau so wie Johnny Rotten liebte – aber seine raue Stimme hat einen so eigenen Charakter, dass man sich wünschte, sie würde nicht so oft im Mix verschwinden. Das Saxophon von Duncan Kilburn mag auch aus Verehrung für Roxy Music dabei sein, aber es trötet beileibe nicht so artifiziell wie bei den Vorbildern. The Psychedelic Furs versinkt manchmal tatsächlich in einem chaotischen Brei, der Opener „India“ mag da ein fast ZU gutes Beispiel sein – es beginnt mit leisen, zurückhaltenden Gitarren-Chords, die den Hörer veranlassen, den Lautstärkeregler hoch zu drehen, ehe Bass, Drums und Gesang in harter Post-Punk-Manier loslegen. Mit „Sister Europe“ hatten die Furs einen atmosphärischen Hit, der Richard Butler's Stimme mal so richtig strahlen lässt. Dem Punk-Ethos entsprechend wurden die meisten Songs in einem Take eingesungen, der junge Steve Lillywhite (der bald als Produzent von U2 berühmt werden würde) hatte Butler hier geraten, mal nicht so los zu brüllen wie auf den anderen Tracks des Albums. Das rasante „Pulse“ wiederum zeigt die Punk-Wurzeln der Band – aber sie waren schon auf diesem Debüt mehr als reine Epigonen. Ich stelle beim Schreiben dieses Artikels immer wieder fest, dass diese junge Post-Punk Generation ihre Musik-nach-Punk nicht nur in Opposition zu etablierten Bands der frühen Siebziger gemacht hat, sondern mitunter auch bereiwillig bestimmte Stilmittel aus prgressivem Rock, Psychedelic oder Kraut-Rock übernahm – aber dass das jetzt En Vogue war, sieht man ja auch an Bands wie P.I.L.... Nur überkommene (Rock-)Schemata und die Zur-Schau-Stellung von Virtuosität wurden bewusst vermieden. Ein Rezept zur Verjüngung, das bis heute funktioniert.